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Montag, 22. November 2010

Informationen zum Chronic-Fatigue-Syndrom, CFS Chronisches Erschöpfungssyndrom

von Hans-Michael Sobetzko (1998)


"...CFS zu haben heißt, in einem lähmenden Nebel aus tausend Beschwerden, Schmerzen und dieser absurden Erschöpfung leben zu müssen, jeden Tag, jahrelang!"
eine Betroffene


Viele Namen - ein Krankheitsbild
Für das Krankheitsbild existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Bezeichnungen. In der medzinischen Fachliteratur werden vorwiegend folgende Begriffe benutzt:
  • Chronic Fatigue Syndrome (CFS) / USA
  • Chronic Fatigue/ Immune Dysfunction Syndrome (CFIDS) / USA
  • Myalgic Encephalomyelitis (ME) / u.a. GB, Australien, Kanada, Neuseeland
  • Chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS) / Deutschland
ICD 10: G 93.3
organische Störungen des Gehirns:
  • Postviral Fatigue Syndrome (PVFS)
  • Benign Myalgic Encephalomyelitis" (BEME)
Beschwerden
Der Beginn der Erkrankung ist meist grippeähnlich und abrupt, in einigen Fällen auch einschleichend. Charakteristisch sind Hals-, Kopf-, Lymphknoten-, Muskel-und Gelenkschmerzen, ständige Benommenheit sowie schwerwiegende Störungen der Konzentrationsfähigkeit und des Kurzzeitgedächtnisses. Schwäche-und Schwindelgefühl, Sehstörungen, unterschiedliche Mißempfindungen im ganzen Körper, auch im Gesichtsbereich, mäßiges Fieber bzw. Fiebergefühl, Schlafprobleme und Übelkeit werden geschildert. Häufig entsteht in der Folgezeit eine verwirrende Vielfalt weiterer Symptome. Die extreme, oft über Jahre anhaltende, lähmende Erschöpfung und Erschöpfbarkeit durch geringste Anstrengungen haben dem Krankheitsbild seinen Namen gegeben.
Ursache und Entstehung
Ursachen und Krankheitsmechanismen des CFS sind bis heute ungeklärt, es gibt keinen charakteristischen objektiven Einzelbefund und keine beweisende Befundkombination. Der CFS-Definition von 1994 liegt ein Konzept zugrunde, bei dem ein sog. Syndrom mit möglicherweise verschiedenen Ursachen erfaßt wird. Es könnte sich demnach sowohl um eine einzelne Erkrankung als auch um eine Gruppe verschiedener Krankheiten oder Vergiftungen mit ähnlichem Beschwerdebild bzw. gemeinsamer Endstrecke handeln.
Viren, u.a. EBV, HHV6, Enteroviren, Bornaviren, Retroviren, Borrelien, Pilze, Fehlfunktionen des Hormonsystems, neurologische Störungen, andauernde Überlastungen im Vorfeld der Erkrankung und eine Vielzahl von Umweltgiften, v.a. nervenschädigende Substanzen, werden als Auslöser und Kofaktoren des CFS in Betracht gezogen, ohne daß dafür bisher ein wissenschaftlich zwingender Beweis vorgelegt werden konnte.[1,2,8,9]
Obwohl CFS in einigen Fällen neben psychiatrischen Erkrankungen auftritt, gibt es keinen Beweis dafür, daß CFS selbst eine Störung dieser Gruppe ist. Zudem ist umstritten, ob es sich bei beobachteten Auffälligkeiten nicht in erster Linie um die Folgen eines äußerst belastenden chronischen Krankheitsverlaufs handelt. Die Abgrenzung zu Depressionen und Somatisierungsstörungen bereitet erhebliche Schwierigkeiten.[7,11]
Aufgrund erniedrigter Werte des Hormons "Cortisol" wurde bei einem Teil der Patienten eine Störung der Hypothalamus- Hypophysen- Nebennierenrinden- Achse (HHN-Achse), die große Bedeutung für die Reaktion des Organismus auf Streß besitzt, diskutiert. Eine Gabe von "Cortisol" in niedrigen Dosierungen erwies sich jedoch im Rahmen einer breit angelegten Studie als weitgehend wirkungslos[13].
Wie die synonyme Bezeichnung "Chronic Fatigue Immune Dysfunction Syndrome, CFIDS" andeutet, sind mit dem Krankheitsbild oft Auffälligkeiten des Immunsystems verbunden, die in der Vergangenheit jedoch stets uncharakteristisch und nicht in allen Fällen nachweisbar waren. Zunehmend richtet sich das Interesse auf den für die Virusabwehr zentralen 2,5A-Synthetase/ RNase-L-Pfad, der bei CFS in vielen Fällen eine unerwartet hohe Aktivität aufweist. Im Juli 1997 wurde erstmals über CFS-spezifische Veränderungen des Enzyms RNase-L (Low Molecular Weight RNase-L) berichtet [12]. Ob sich der labortechnische Nachweis dieser Ribonuklease als beweisender CFS-Befund eignet, ist Gegenstand zur Zeit laufender Untersuchungen.
Denkbar ist auch eine Kombination und gegenseitige Beeinflussung mehrerer Faktoren, die an der Entstehung und Ausprägung des CFS beteiligt sein könnten ("Biopsychosoziales Krankheitsmodell").
Klassifikation von Erschöpfungszuständen
Eine Expertengruppe der Centers for Disease Control and Prevention,CDC in Atlanta/USA, die "International Chronic Fatigue Syndrome Study Group", schlug 1994 folgende Einteilung zur Erfassung von Erschöpfungszuständen vor [2]:
Verlängerte Erschöpfung:
kontinuierliche Erschöpfung, die 1 Monat oder länger andauert
Chronische Erschöpfung:
Erschöpfungszustand, der kontinuierlich oder rezidivierend mindestens 6 Monate andauert
Idiopathische chronische Erschöpfung:
Zustand klinisch gesicherter, ungeklärter chronischer Erschöpfung, der die Definitionskriterien des CFS nicht erfüllt
Chronic-Fatigue-Syndrom:
klinisch gesicherter, ungeklärter Zustand chronischer Erschöpfung, der die vorgeschlagenen Definitionskriterien erfüllt
Abklärung
Da die beobachteten Beschwerden durchweg unspezifisch sind und bei verschiedenen Störungen auftreten können, ist zunächst eine gewissenhafte Abklärung notwendig. DieInternational Chronic Fatigue Syndrome Study Group empfiehlt die folgenden Schritte zur Differentialdiagnostik chronischer Erschöpfung [2].
Die meisten der aufgeführten Untersuchungen dürften im Anbetracht der belastenden Symptomatik bereits vor Erreichen der Sechs-Monats-Grenze durchgeführt worden sein.
Basisdiagnostik in allen Verdachtsfällen
  • ausführliche Krankengeschichte
  • gründliche körperliche Untersuchung
  • Untersuchung der geistig-seelischen Verfassung (mentaler Status)
  • Laborscreening: komplettes Blutbild, BSG, GPT, Gesamteiweiß, Albumin, Globuline, Alkalische Phosphatase, Ca, Phosphat, Glucose, Harnstoff, Elektrolyte, Kreatinin, TSH, Urinanalyse

Über den vorgeschlagenen Umfang hinausgehende Grunduntersuchungen haben nach Aussage der Centers for Disease Control and Prevention beim derzeitigen Kenntnisstand keinen erkennbaren Wert für die CFS-Diagnosestellung. Immunologische, hormonelle und virologische Untersuchungen können bestenfalls Hinweise liefern. Mit EEG, CCT, SPECT, PET, Kernspintomografie oder ähnlichen Techniken ist die Diagnose "CFS" weder zu sichern noch zu widerlegen. Eine ausufernde Diagnostik bringt keine erkennbaren Vorteile [2, 13].
weiterführende Diagnostik im Einzelfall
  • gezielter Ausschluß anderer Diagnosen durch streng an den Leitsymptomen und auffälligen Befunden des Einzelfalls ausgerichtete weitere Untersuchungen
Ausschlüsse
Nach Abschluß dieser Diagnostik müssen ausgeschlossen sein:
  • jede aktive Störung, die eine chronische Erschöpfung verursachen könnte, wie unbehandelte Hypothyreose, Schlafapnoe, Narcolepsie und iatrogene Faktoren, wie z.B. Medikamentennebenwirkungen
  • jede früher diagnostizierte Störung, deren Heilung nicht zweifelsfrei dokumentiert ist und deren weitere Aktivität eine chronische Erschöpfung erklären könnte, z.B. vorbehandelte Malignome und nicht ausgeheilte Fälle von Hepatitis B oder C
  • jede frühere oder aktuelle Diagnose einer schweren Depression mit psychotischen oder melancholischen Anteilen; bipolare affektive Störungen; Schizophrenien jeden Typs; alle Formen paranoider Störungen; jede Form von Demenz; Anorexia nervosa; Bulimie
  • Alkohol oder Drogenmißbrauch innerhalb der letzten zwei Jahre vor Beginn der chronischen Erschöpfung oder zu jedem Zeitpunkt danach
  • Adipositas permagna mit einem Körpermasseindex von 45 oder mehr
    Körpermasseindex = Körpergewicht in Kilogramm / (Körperlänge in Metern)²

Nicht ausschließende Bedingungen Demgegenüber bieten die folgenden Umstände alleine keine ausreichende Erklärung für eine chronische Erschöpfung. Sie können im Sinne einer Begleiterkrankung parallel zu einem CFS bestehen, schließen einen Fall von der Diagnose Chronic-Fatigue-Syndrom jedoch nicht aus:
  • jede Störung unter einer spezifischen Therapie, die geeignet ist, alle Symptome zu lindern und deren korrekte Anwendung dokumentiert ist. Dies schließt Hypothyreose, für die eine ausreichende Hormonsubstitution durch normale TSH-Spiegel nachgewiesen oder Asthma, für das die Eignung der Therapie durch Lungenfunktionstests oder andere Untersuchungen belegt ist, ein.
  • jede Gesundheitsstörung wie Borreliose oder Syphillis, die mit der vorgeschriebenen Therapie vor Entwicklung der CFS-Symptomatik abschließend behandelt wurde
  • jeder isolierte und unerklärte körperliche Untersuchungsbefund, Labortest oder jeder isolierte und unerklärte Befund bildgebender Verfahren, der nicht ausreicht, um das Vorhandensein einer ausschließenden Bedingung zu belegen. Dies schließt einen erhöhten antinukleären Antikörpertiter ein, der ungeeignet ist, ohne weitere klinische Auffälligkeiten oder Laborbefunde eine diskrete Bindegewebserkrankung zu belegen.
  • jede Gesundheitsstörung, die primär durch Symptome definiert ist und nicht durch Laboruntersuchungen verifiziert werden kann, einschließlich Fibromyalgie, Angststörungen, funktionelle Störungen, nichtpsychotische und nichtmelancholische Depression, Neurasthenie und MCS (Multiple Chemical Sensitivity)
Liegen keine ausschließenden Differentialdiagnosen und Auffälligkeiten vor, handelt es sich um eine klinisch gesicherte, ungeklärte chronische Erschöpfung, die im nächsten Schritt entweder als Chronic-Fatigue-Syndrom, CFS oder als idiopathische chronische Erschöpfung zu klassifizieren ist.
Kriterien des Chronic-Fatigue-Syndroms
Für die Diagnose Chronic-Fatigue-Syndrom, CFS muß ein Fall folgende Kriterien für Erschöpfung und begleitende Symptomatik erfüllen[2]:
Erschöpfungskriterien:
Chronische Erschöpfung, die
  • klinisch gesichert und ungeklärt ist.
  • neu und mit zeitlich bestimmbarem Beginn auftrat (nicht bereits lebenslang besteht).
  • sich nicht spürbar durch Ruhe bessert.
  • nicht Folge einer noch anhaltenden Überlastung ist.
  • zu einer substantiellen* Reduktion früherer Aktivitäten in Ausbildung und Beruf sowie im sozialen und persönlichen Bereich führt.
Symptomkriterien:
4 oder mehr der im folgenden aufgeführten 8 Symptome, die frühestens mit Beginn der Erschöpfung aufgetreten sein dürfen, müssen für einen Zeitraum von mindestens 6 aufeinanderfolgenden Krankheitsmonaten persistierend oder rezidivierend nebeneinander bestanden haben:
  • selbstberichtete Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses oder der Konzentration, die schwer genug sind, eine substantielle* Reduktion des früheren Niveaus der Aktivitäten in Ausbildung und Beruf sowie im sozialen und persönlichen Bereich zu verursachen
  • Halsschmerzen
  • empfindliche Hals-und Achsellymphknoten
  • Muskelschmerzen
  • Schmerzen mehrerer Gelenke ohne Schwellung und Rötung
  • Kopfschmerzen eines neuen Typs, Musters oder Schweregrades
  • keine Erholung durch Schlaf
  • Zustandsverschlechterung für mehr als 24 Stunden nach Anstrengungen

*Die Größenordnung einer substantiellen Reduktion wurde in der ersten CFS-Definition von 1988 mit mindestens 50 Prozent des Niveaus vor Krankheitsbeginn angegeben [1,6].
Sind alle Erschöpfungskriterien erfüllt und besteht eine Begleitsymptomatik in der geforderten Konstellation, liegt ein Chronic-Fatigue-Syndrom, CFS vor. Sind die geforderten Kriterien für Erschöpfung oder Symptomatik nicht erfüllt, ist ein Fall alsidiopathische chronische Erschöpfung einzuordnen. Dieser Begriff bezeichnet keine neue Entität, sondern ist als Kategorie zur Vereinfachung vergleichender Studien gedacht.
Zahlen
Verwertbare statistische Zahlen zum CFS liegen für den Bereich der Bundesrepublik nicht vor, ebenso fehlen Ergebnisse von Untersuchungen an großen Kollektiven. Lediglich einzelne Kliniken und Praxen haben ihre Daten veröffentlicht, die jedoch unter kaum vergleichbaren Rahmenbedingungen und mit unterschiedlichen Strategien erhoben wurden. Zudem muß bei vergleichsweise geringen Fallzahlen die Gefahr statistischer Verzerrungen durch die Zusammensetzung bzw. Auswahl des Patientenkollektivs (selektional bias) berücksichtigt werden.
Daten aus dem anglo-amerikanischen Raum:
  • Angaben zur Häufigkeit des Syndroms schwankten in der Vergangenheit sehr stark. Nach einer 1995 veröffentlichten amerikanischen Studie [4] gaben zwischen ca. 2 und 6 Prozent der Befragten an, seit mindestens 6 Monate chronisch erschöpft zu sein. Demgegenüber erfüllten nur etwa 1 bis maximal 3 Promille die Kriterien des CFS. Gemessen am Symptom "Chronische Erschöpfung" ist das "Chronic-Fatigue-Syndrom" sehr selten und muß klar abgegrenzt werden.
  • Die Mehrzahl der Betroffenen befindet sich im mittleren Lebensabschnitt (30-50 Jahre).
  • Nach fast allen Studien sind mehr Frauen als Männer betroffen [7].
  • Unter den Kranken fanden sich in Großbritannien überdurchschnittlich viele in medizinischen Berufen Tätige und Lehrer[7].
  • Es gibt deutliche Anhaltspunkte dafür, daß unterschiedliche und teilweise ungeeignete Erhebungsmethoden zu erheblichen Verzerrungen in der statistischen Einschätzung führten. [2]
Verlauf und Prognose
Für eine sichere Aussage zum Verlauf fehlen verläßliche medizinische Daten, zudem unterscheiden sich die individuellen Krankengeschichten oft erheblich voneinander. Todesfälle als direkte Folge von CFS sind nicht bekannt. Es liegen keine seriösen wissenschaftlichen Belege für den Übergang des CFS in Folgeerkrankungen bzw. bleibende Organdefekte vor. [5]
Dem meist abrupten Beginn folgt in der Regel eine Phase größter Leistungseinschränkungen und ausgeprägtester Symptomatik. In dieser Zeit leiden die Patienten schon in Ruhe und bei allen Anstrengungen unter schweren Symptomen, können vielfach das Haus nicht verlassen, sind weitgehend bettlägerig und erreichen auf der Skala nach Bell oft nur einen Bereich zwischen 0 und 30 Punkten.
Über Jahre kommt es häufig zu einer langsamen Besserung mit Rückfällen und Erholungsphasen. Manche Patienten erholen sich vollständig. Einige Betroffene berichten von einer langsamen, kontinuierlichen Verschlechterung oder von zyklischen Verläufen.
Die britische ME-Association [11] geht davon aus, daß
  • 35 % der Betroffenen sich langsam aber stetig erholen,
  • 40 % der Fälle einen wechselhaften Verlauf haben,
  • 20 % schwerwiegend eingeschränkt bleiben,
  • 5 % eine kontinuierliche Verschlechterung erleben.
Belastungen und Rückfälle
Belastungen, auch solche, die früher problemfrei toleriert wurden, führen häufig zu einer Verschlechterung des Befindens, die charakteristischerweise oft erst nach ein bis zwei Tagen einsetzt [5]. Rückfälle werden u.a. durch Infekte, Streßsituationen, körperliche Überforderung und nicht zuletzt auch durch zu hoch dosierte Medikamente, z.B. Antidepressiva, ausgelöst.
Es ist sehr wichtig, zwischen einer Verstärkung der Symptomatik und wirklichen Rückfällen zu unterscheiden: Eine halbwegs normale Lebensführung ist für die meisten Betroffenen nur dann möglich, wenn sie dafür ein gewisses Maß an Beschwerden akzeptieren. Der Kranke selbst muß diesen Prozeß bewußt kontrollieren und steuern. Viele andere chronisch Erkrankte haben ähnliche Probleme.
Demgegenüber steht "Rückfall" für eine gravierende, anhaltende Symptomverschlechterung, die nicht mehr steuerbar ist und das in der jeweiligen Krankheitsphase gewohnte Aktivitätsniveau für längere Zeit deutlich reduziert.
CFS und Umfeld
Selten ist eine Krankheit so unterschiedlich bewertet worden. Betroffene empfinden sie als jahredauernde Hölle, in der selbst kleinste Anstrengungen zur Qual werden. Neben den direkten krankheitsbedingten Beschwerden verschärfen drastische Einschränkungen im Familienleben, im Umgang mit Freunden und Bekannten sowie im Beruf die Situation des Kranken.
Von der Umwelt wird CFS wegen eines selbst in schlechtesten Phasen meist relativ stabilen äußeren Eindrucks oft als übertrieben dargestellte, seelisch begründete Befindlichkeitssstörung abgetan.
CFS bedeutet nahezu zwangsläufig eine Kollision mit gesellschaftlichen Leistungsnormen, die auf lange Zeit nicht mehr erfüllbar sind. Es entsteht ein Teufelskreis aus direkten Beschwerden, wachsenden beruflichen Problemen, zunehmender sozialer Isolation und ständig abnehmendem Selbstwertgefühl. Weder sich selbst noch anderen kann der Betroffene seinen Zustand erklären oder eine allgemein akzeptierte Gesundheitsstörung als "Rechtfertigung" vorweisen.
In dieser Situation sollte man eine mögliche Selbstmordgefährdung sehr ernst nehmen [3], insbesondere dann, wenn die Diagnose "CFS" noch nicht gestellt ist.
Selbst wenn sich aus der "Etikettierung" eines in vielerlei Hinsicht erdrückenden Beschwerdekomplexes zur Zeit keine kausalen Therapieansätze ergeben, eröffnet sich die Möglichkeit, individuelle, dem Krankheitsbild angemessene Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Darüber hinaus lassen sich ungeeignete, nicht selten zusätzlich belastende Therapieverfahren, die oft auf der Basis von Ausweichdiagnosen verordnet werden, vermeiden.
Behandlung
Ob Medikamente den Erholungsprozeß unterstützen können, ist sehr umstritten. Eine allgemein anerkannte pharmakologische Therapie gibt es zur Zeit nicht. Vielfach wird daher nur eine möglichst zurückhaltende, nebenwirkungsarme symptomatische Behandlung der Beschwerden empfohlen [5]. Die fast immer erhöhte Sensibilität der Kranken gegenüber Medikamenten aller Art muß dabei unbedingt berücksichtigt werden. In vielen Fällen heißt das, Pharmaka in Dosierungen deutlich unterhalb der üblichen Minimaldosierung zu verordnen.
Nachgewiesene Defizite im Vitamin-und Mineralstoffhaushalt sollten ausgeglichen und eine ausgewogene Ernährung angestrebt werden. Bei gesicherten Allergien und Empfindlichkeiten kann eine entsprechende Diät hilfreich sein.
Obwohl CFS häufig mit einer ausgeprägten psychischen Symptomatik verbunden ist, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um eine psychogene Krankheit. Zudem erscheint es äußerst schwierig, primäre und als Reaktion auf einen schwerwiegenden chronischen Krankheitsverlauf entstandene sekundäre Auffälligkeiten zu unterscheiden. Das gilt insbesondere dann, wenn die Vorgeschichte keine psychischen Vorerkrankungen aufweist. Oft haben in Unkenntnis CFS-spezifischer Besonderheiten angewandte Psychotherapieverfahren die Situation der Patienten ohne erkennbare Vorteile zusätzlich belastet.
Kognitive Verhaltenstherapie hat sich bei CFS in gewissen Grenzen als hilfreich erwiesen: Betroffene lernen, den verbliebenen Spielraum optimal zu nutzen, sich in ihrer Haltung und Lebensgestaltung den aktuellen Limitierungen anzupassen, ohne sie auf Dauer als unveränderlich zu akzeptieren. Die Erkrankung als dynamischer Prozeß mit sich stetig veränderenden Rahmenbedingungen erfordert ein flexibles Krankheitsmanagement, das mit diesem Ansatz unterstützt und verbessert werden kann[10].
Für alle Behandlungsformen ist im Anbetracht der unklaren Ursachen des CFS eine strenge Abwägung des Aufwands, der Risken und des möglichen Nutzens zu fordern.
Leben mit CFS: Krankheitsmanagement

Große Bedeutung besitzt ein dem CFS angepaßter Lebensstil mit Vermeidung von Streß und Überlastungen sowie einem möglichst ökonomischen Einsatz der verbliebenen Energie und Fähigkeiten. Als Grundlage eines effektiven Umgangs mit der Krankheit ist die klare Strukturierung eines geregelten Tagesablaufs mit einem Grundprogramm an Aktivitäten, das auch an schlechten Tagen zu bewältigen ist, dringend anzuraten. Die häufig zu beobachtende Tagesrhythmik der Symptome sollte bei der Planung unbedingt berücksichtigt werden, da schwerere Aufgaben in den beschwerdeärmeren Phasen kräftesparender zu erledigen sind.
Eine der geringeren Leistungsbreite angemessene körperliche Aktivität (z.B. Spazierengehen, Radfahren, Schwimmen) wirkt fast immer positiv und sollte fester Bestandteil eines Behandlungskonzeptes sein, um eine weitere Schwächung durch Inaktivität zu vermeiden. Die Belastungsgrenzen muß dabei stets der Patient selbst bestimmen. Für schwerkranke Betroffene kann eine adäquate körperliche Aktivität am Anfang bereits darin bestehen, sich für einige Augenblicke aufrecht im Bett hinzusetzen.
Gefragt sind Lebens-und Überlebensstrategien im Sinne eines möglichst effektiven Krankheitsmanagements. Oberstes Ziel wird hierbei weniger die völlige Beschwerdefreiheit sein können. Vielmehr muß ein individueller Kompromiß zwischen familiären, sozialen bzw. beruflichen Notwendigkeiten einerseits und dem Wunsch nach einer relativ erträglichen Symptomatik andererseits gefunden werden.
-Ende-



Literatur
1. Holmes GP, Kaplan JE, Gantz NM, Komaroff AL, Schonberger LB, Straus SE, Jones JF, Dubois RE, Cunningham-Rundles C, Pahwa S, Tosato G, Zegas LS, Purtilo DT, Brown N, Schooley RT, Brus I: Chronic fatigue syndrome: a working case definition. Annals of Internal Medicine 1988; 108:387-9
2. Fukuda K, Strauss SE, Hickie I, Sharpe MC, Dobbins JG, Komaroff AL and the International Chronic Fatigue Syndrome Study Group: The Chronic Fatigue Syndrome: A Comprehensive Approach to Its Definition and Study. Annals of Internal Medicine 1994; 121: 953-959
3. Bell DS: The Doctor's Guide to Chronic Fatigue Syndrome. Addison-Wesley Publishing Company 1994 4. Buchwald D, Umali P, Umali J, Kith P, Pearlman T, Komaroff A: Prevalence of Chronic Fatigue and Chronic Fatigue Syndrome in the Community. Ann.Intern.Med. 1995; 123:81-88
5. CDC (Centers for Disease Control and Prevention ): The Facts About Chronic Fatigue Syndrome. 1994 6. Fock RRE, Krüger GRF: Chronic Fatigue Syndrome - CFS - Chronisches Erschöpfungssyndrom/ Eine Standortbestimmung. Deutsches Ärzteblatt 1994; 43: 1872-1876
7. National Task Force on Chronic Fatigue Syndrome (CFS), Postviral Fatigue Syndrome (PVFS), Myalgic Encephalomyelitis (ME): Report from the National Task Force on Chronic Fatigue Syndrome (CFS), Postviral Fatigue Syndrome (PVFS), Myalgic Encephalomyelitis (ME), Westcare 1994
8. Schönfeld B: Das Chronic Fatigue Syndrome - eine neue Krankheit?; Bundesgesundheitsblatt 1993; 12: 499-505
9. Schönfeld, B: Das Chronische Müdigkeitssyndrom ( Chronic Fatigue Syndrome ), historische und epidemiologische Aspekte; Bundesgesundheitsblatt 1993; 12: 505-510
10. Sharpe M, Hawton K, Simkin S, Surawy C, Hackmann A, Klimes I, Peto T, Warrell D, Seagroatt V: Cognitive behaviour therapy for the chronic fatigue syndrome: A randomised controlled trial; British-Medical-Journal. 312/7022 (22-26) 1996
11. Shepherd C: Myalgic Encephalomyelitis: Post-Viral Fatigue Syndrome - Guidelines for the Care of Patients, second edition. 1995
12. Suhadolnik RJ, Peterson DL, O'Brien K, Cheney PR, Herst CV, Reichenbach NL, Kon N, Horvath SE, Iacono KT, Adelson ME, Meirleir KD, Becker PD, Charubala R, Pfleiderer WJ Biochemical evidence for a novel low molecular weight 2-5A-dependent RNase L in chronic fatigue syndrome. Interferon Cytokine Res 1997 Jul;17(7):377-385
13. Homepage der CDC, Abschnitt "Chronic Fatigue Syndrome", download 2/1998
Copyright H.-M. Sobetzko 3/1998

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